Montag, 5. September 2011

[REZENSION] "Der Märchenerzähler"

Cover
Die Autorin
Antonia Michaelis wurde 1979 in Kiel geboren. Fünf Jahre später begann sie, ihre Umwelt mit (damals noch unleserlichen) Büchern zu überschwemmen. Seitdem hat sie nicht mehr aufgehört zu schreiben. In England ließ sie sich inspirieren von der englischen Literaturgeschichte. Heute lebt die junge Autorin, die inzwischen auch ein Medizinstudium abgeschlossen hat, im Nordosten Deutschlands.

Produktinformation
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Gebundene Ausgabe: 446 Seiten
Verlag: Oetinger; Auflage: 1 (Februar 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3789142891 / ISBN-13: 978-3789142895
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
Größe und/oder Gewicht: 21,4 x 15,8 x 4 cm

Leseprobe
Quelle: my.own.cinderella,story  *hier könnt ihr den Prolog lesen*

Die Geschichte...
Die 17-jährige Anna  sollte sich eigentlich aufs Abitur konzentrieren und findet  eines Tages in der Schule eine Stoffpuppe, die, wie sie herausbekommt, der angeblichen Schwester ihres Mitschülers Abel gehört. Abel wird von allen nur "polnischer Kurzwarenhändler" genannt, weil er in den Pausen Drogen an Schüler verkauft. Irgendetwas an dem zurückhaltenden Jungen fasziniert Anna und so folgt sie  dem Außenseiter und sieht, dass er tatsächlich eine kleine Schwester namens Micha hat, an der anscheinend hängt. Er erzählt  der 6-jährigen Micha ein Märchen über die kleine Klippenkönigin, deren Insel gesunken  ist und die auf ihrem Schiff mit dem Seelöwen fliehen muss. Auch Anna ist ganz fasziniert von dieser Geschichte, die sie Abel gar nicht zugetraut hätte und freundet sich mit dem Geschwisterpaar an. Immer wieder erzählt Abel weitere Teile dieses Märchens, wobei er auch reale Personen einbaut und die Handlung Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit zeigt - und dann droht plötzlich die Grenze zwischen Realität und Fantasie zu verschwimmen...
**Achtung SPOILER** Zum Lesen bitte Text markieren
Denn es geschieht ein Mord (an dem roten Jäger alias Rainer Lierski - Michas Vater, der droht, Micha mitzunehmen), den Abel in sein Märchen eingeflochten hat undAnna möchte gern glauben, dass Abel damit nichts zu tun hat...  **SPOILER ENDE**

Meine Meinung:
Nachdem "Der Märchenerzähler" überall hochgelobt wurde (Ela *wink*), konnte ich nicht anders und musste mir dieses Buch, das in Deutschland spielt, kaufen. Gleich zu Anfang möchte ich anmerken, dass ich mit der Altersempfehlung von 14 Jahren nicht wirklich glücklich bin und dieses Buch  eher Lesern ab 16 empfehlen würde (kommt allerdings auch auf die jeweilige Person an, das lässt sich nicht pauschalieren).

Hauptperson Anna Leemann ist fast 18, spielt Querflöte, ist in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen und nennt ihre liebevollen Eltern Magnus und Linda beim Vornamen (eine Unart, die des Öfteren in Jugendbüchern vorkommt, mich hier aber gar nicht so stört). Trotz ihres Alters benimmt sich Anna oft noch sehr kindisch bzw. naiv und man hat das Gefühl, als lebe sie in ihrer eigenen Seifenblase, was ihr ihre beste Freundin Gitta auch öfters vorwirft. Die 18-jährige Gitta hat sich in letzter Zeit stark verändert - sie macht sich lieber an Jungs heran und raucht, statt mit Anna Spaziergänge über das gefrorene Eis oder Schneeballschlachten zu machen...  **Achtung SPOILER** Und auch als Abel in der Schule so tut, als würde er sie nicht kennen und Anna im Bootshaus vergewaltigt (diese Szene ist  für ein Jugendbuch heftig), setzt sie ihre rosarote Brille nicht ab und hält noch zu ihm - vor allem diese Reaktion nach der Vergewaltigung kann ich nicht nachvollziehen. **SPOILER ENDE**
Als Anna Abel Tannatek "besser" kennen lernt, verliebt sie sich in den blonden Jungen, obwohl sie von ihm sehr wenig weiß.  Offensichtlich ist der 17-jährige ein Schulschwänzer und Drogendealer, der sich auf der anderen Seite liebevoll um seine süße (Halb-)Schwester mit den blonden Zöpfen, die 6-jährige Micha kümmert, da ihre Mutter unterwegs ist. Während Anna von ihren Eltern umsorgt wird, müssen Abel und Micha in der Plattenbauwohnung allein zurechtkommen, denn niemand weiß genau, wohin oder wie lange Michelle verreist ist.  **Achtung SPOILER**  Da Abel aber anscheinend klar ist, dass ihre gemeinsame Mutter Michelle nicht zurückkommen wird, verdient er mit Drogenverkauf und anderen Jobs den Lebensunterhalt, damit er hin und wieder mit Micha ein Eis essen, einen Ausflug machen oder in ein Café gehen kann. **SPOILER ENDE**
Neben den bereits erwähnten Charakteren erfahren wir auch ein wenig mehr über den Klassenkameraden Bertil (einen Streber, der in Anna verliebt ist) und den Deutschlehrer Knaake, der Abel hilft und in dem Märchen als hilfreicher Leuchtturmwärter auftaucht. Alle Protagonisten wurden liebevoll und facettenreich ausgearbeitet,  sie bestechen durch ihre  Stärken & Schwächen sowie Ecken, Kanten & Macken. Meine absolute Lieblingsfigur ist die kleine Micha, die mich mit ihrer altklugen, vertrauensvollen Art bezaubert hat.  :)

Dieses Buch hat verschiedene Gefühle in mir erzeugt - die Geschichte hat mich zum Weinen und zum Lachen gebracht, es hat mich erschüttert, berührt und mich fassungslos zurückgelassen.  "Der Märchenerzähler" ist eine bittersüße Geschichte voller Höhen & Tiefen, die einem zeigt, wie hart die Realität sein kann und wie Abel sein Leben voller Sorgen, Probleme und Ängste meistert. Manchmal schüttelt man über Annas naive Art den Kopf, aber auf der anderen Seite wird dadurch die Gegensätzlichkeit von Anna & Abel betont. 

Um der existenten Trostlosigkeit zu entfliehen, erzählt Abel seiner Schwester häppchenweise das Märchen von der kleinen Klippenkönigin, das er sich selbst ausgedacht hat. Als Märchenerzähler sprüht er nur so vor Einfallsreichtum und lässt in seine Geschichte die kleine Königin mit dem diamantenen Herzen, den roten Jäger, das Rosenmädchen von der Roseninsel,  den Leuchtturmwärter, die Insel der Fragenden und der Antwortenden einfließen und wir hoffen, dass sie das Festland erreichen. Bald kann Anna die Parallelen zur Realität erkennen, die nicht nur Gutes verheißen...

Erzählt werden die ergreifenden Begebenheiten, die von Februar bis Ende März andauern,  größtenteils aus der personalen Erzählersicht von Anna - doch hin und wieder kommt auch eine unbekannte Person zu Wort, die Anna beobachtet. Die 17-jährige Anna gewährt uns tiefen Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt, wodurch wir uns gut in die Protagonistin einfühlen können, obwohl ich nicht alle Taten der Hauptperson gut heiße. ;-)

Neben dem atemberaubenden Plot samt der hervorragenden Umsetzung  entführt uns die Story in eine wunderbare Märchenwelt mit traumhaften Schauplätzen, die so bildhaft geschildert wurden, dass man meint, die frisch gefallenen Schneeflocken und den Wind am Strand von Eldena zu spüren oder das Meer im Märchen zu schmecken...

Zitat Seite 45: "Das Märchen, in dem Anna landete, war so hell und lichtdurchflutet wie der Moment, in dem er Micha in der Luft herumgeschleudert hatte. Doch sie hörte hinter den Worten eine uralte Dunkelheit lauern, die Dunkelheit aller Märchen, die Kehrseite."

Momentan tue ich mich mit der Genre-Zuordnung schwer, denn diese Geschichte ist weder ein reiner Jugendthriller, noch Familiendrama oder Liebesgeschichte, sondern eine gelungene Mischung verschiedener Elemente. Der Leser weiß lange nicht, in welche Richtung "Der Märchenerzähler" geht und durch viele unerwartete Wendungen bleibt die Handlung immer fesselnd.  Eine Besonderheit stellen die Auszüge aus Songtexten des wunderbaren Leonard Cohen dar, die Abel öfters hört,  wie z.B. "Suzanne", "If it be your will" und "Hallelujah" und die in die Geschichte eingeflochten werden.   

Komplettiert wird dieser herzzerreißende Roman durch einen spannungsgeladenen Schreibstil nebst einer derart poetischen Sprache, wie man sie in einem Jugendbuch nicht erwartet. In dieser Geschichte gibt es nicht nur Schwarz & Weiß, sondern auch jede Menge Grautöne und wer eine nette, glücklich machende Geschichte erwartet, wird sicher enttäuscht sein, denn diese Story geht in die Tiefe und zeigt auch die Schattenseiten unserer Gesellschaft auf.

FAZIT:
Mit "Der Märchenerzähler" hat Antonia Michaelis eine aufwühlende, mitreißende Geschichte  über gegensätzliche Hauptpersonen mit all ihren Problemen und Nöten, über die erste Liebe, Freundschaft & bewegende Gefühle erschaffen. "Der Märchenerzähler" ist ein besonderer Roman, der einen in seinen Bann zieht und mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Emotionale 5 (von 5) Punkte!
 
PS: Ich entschuldige mich für die vielen Spoiler, aber diesmal ging es nicht anders. ;-)
 
ohne Schutzumschlag:

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7 Kommentare:

  1. Oh...nun ist das Buch wieder ganz nach oben in meine Wunschliste gerückt, nachdem es wieder ein paar Plätze eingebüßt hatte, weil andere Bücher mir "wichtiger" erscgienen! Was für eine wundervolle Rezension und wie es aussieht ein Buch, das man gelesen haben muss!!
    Schönen MOntag!
    Martina

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  2. Hallo Sabine,
    ich schließe mich glatt Martina an :)
    Auch bei mir wandert das Buch, aufgrund deiner tollen Rezi, weiter nach oben auf der Wunschliste.
    Liebe Grüße
    Anka

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  3. Hallo ihr Lieben!

    "Der Märchenerzähler" ist kein alltägliches Buch und ich kann es euch nur empfehlen. :) Wäre da nicht eine bestimmte Szene bzw. Annas Reaktion darauf (hab ich gespoilert), hätte der Jugendroman noch ein Extrasternchen bekommen.

    LG
    Sabine

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  4. *schmacht* das Buch hätte ich auch so gerne - aber das wird wohl noch eine Weile warten müssen.

    Liebe Grüße Kerry

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  5. Hallo Sabine,

    tolle Rezi!!

    Bei mir wartet ein kleines rundes Männchen auf dich, wenn du es haben möchtest. :)

    http://steffis-lesestatistik.blogspot.com/2011/09/awards.html

    Alles Liebe,
    Steffu

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  6. Das Buch habe ich gerade zu Weihnachten bekommen :)

    Deinen Blog habe ich gerade erst entdeckt & bin Leserin geworden. Vielleicht magst du ja auch mal bei mir vorbeischauen: www.binzis-buecher.blogspot.com

    LG <3

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  7. Ich kann diesen Roman nur weiterempfehlen! Erstmals zögerte ich als ich dieses Buch auf Amazon bestellen wollte. Die meisten schrieben es sei nicht für Kinder, es sei aufwühlend etc. Ich bin 14 und lese oftmals Thriller usw. jedoch war ich mir bei diesem Buch nicht sicher, da der Inhalt wirklich etwas hart klang. Als ich es dann doch hatte konnte ich nicht mehr aufhöhren zu lesen. Ich war fasziniert vom Schreibstil und von den Charakteren der Hauptfiguren. In der Mitte des Romans wurde es richtig spannend. Manchmal war ich mit den Entscheidungen von Anna nicht einverstanden, aber das vergaß ich schnell. Trotz dem tollen Buch muss ich sagen, dass ich die letzten Seiten nicht ganz verkraften konnte. Die Szene im Badezimmer als Abel die Pistole in den Händen hielt. Es ist als wäre er wie verwandelt. Ich war etwas verwundert. Es kann auch sein, dass ich so geschockt war, da ich Abels zweite Seite nur halb wahrnahm. Ich redete mir immer ein, dass er einer der guten sei und keinen umgebracht hat. Als Anna dann die Schlüsse zog mit den Hinweisen aus den Märchen, kamen bei mir unheimlich viele Fragen auf. Ob Abel es absichtlich so wollte, dass Anna es rausfand. Warum er sie dann belogen hatte, ihr schamlos hintergangen ist und den guten gespielt hatte. Ich glaube ich redete mir ein er ist besser als beschrieben...

    Entschuldigung für das Durcheinander der Zeiten usw. Ich bin eigendlich Luxemburgerin.

    Hat jemand antworten auf die Fragen oder was haltet ihr vom Ende?
    LG Zoe :)

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Ich freue mich sehr über (ernstgemeinte) Kommentare zu meinen Posts. Immer heraus mit eurer Meinung...

Büchersüchtige Grüße,
Sabine